Das Bundesarbeitsgericht hat am 13.09.22 entschieden, dass es in Deutschland eine Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten gibt.
Eigentlich wollte ein Betriebsrat klären lassen, ob er ein Mitspracherecht bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems hat. Doch ein solches Mitspracherecht ist unzulässig, wenn es zu dem betreffenden Sachverhalt (hier: Zeiterfassung) bereits eine gesetzliche Regelung gibt. Und diese gesetzliche Reglung gibt es, wie das Bundesarbeitsgericht herleitet:
Aus §3 Abs. 2 Nr.1 Arbeitsschutzgesetz
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten
1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie
2. Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.
und dem Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019
Um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
ergibt sich die Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten zum Zwecke des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten.
Mit diesem Urteil ändern sich die Regeln für die Arbeitszeiterfassung gravierend: War es gemäß Arbeitszeitgesetz
§ 16 Aushang und Arbeitszeitnachweise
(2) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
bislang nur ausnahmsweise erforderlich, Arbeitszeiten zu erfassen, beispielsweise Überstunden oder Arbeiten an Sonn- und Feiertagen, so ergibt sich aus dem Urteil eine umfassende Zeiterfassung.
In dem Urteil ist keine Forderung nach einer elektronischen Zeiterfassung enthalten. Der EuGH hatte aber die Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ verlangt. Obwohl auch der EuGH nicht ausschließt, dass Papieraufzeichnungen angemessene Lösungen sein können, lassen sich diese Forderungen sowie weitere, z.B. datenschutzrechtliche, Forderungen durch analoge Lösungen praktisch nicht umsetzen, wie wir in diesem Beitrag erläutert haben.
Update vom 20. Dezember 2022
So entwickelt sich das neue Arbeitszeitgesetz seit Mai 2019 ›