Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Anforderungen an Zeiterfassungssysteme

Nach dem Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung wird überwiegend über die technische Umsetzbarkeit (oder vielmehr über deren vermeintliche Unmöglichkeit) der Zeiterfassung gesprochen. Ich habe bereits dargelegt, dass alle technischen Voraussetzungen seit vielen Jahren verfügbar sind.

Deshalb will ich den Blick heute darauf richten, was der eigentliche Hintergrund des Urteils ist und welche Anforderungen sich dadurch an Zeiterfassungssysteme ergeben.

Man muss angesichts der teilweise irritierenden Kommentierungen des Urteils in den Medien daran erinnern, dass es nur in zweiter Linie um Vergütungsfragen, sondern vorrangig um die Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinie und die Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit geht.

Der EuGH spricht vom "strukturellen Ungleichgewicht in der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer" (Urteilstext) und meint den Arbeitnehmer als "die schwächere Partei des Arbeitsvertrags" (Pressetext). Damit Arbeitnehmer und deren Vertreter die Einhaltung der oben genannten Richtlinien durchsetzen können, brauchen sie belastbare Daten - beispielsweise um Verstöße darlegen zu können. Eine reine Erfassung der Überstunden ist dafür nicht ausreichend. Es geht also in erster Linie um Arbeitsschutz.

Fast nebenbei löst das Urteil allerdings auch ein anderes Problem für Arbeitnehmer - was zu den heftigen Reaktionen der Arbeitgeberseite und arbeitgeberfreundlicher Politiker führt. Wenn es nämlich zum Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die dem Arbeitnehmer zustehenden Überstundenvergütungen kommt, hat der Arbeitnehmer regelmäßig ein Nachweisproblem, wenn lediglich Überstunden aufgezeichnet wurden - und nicht die der Überstundenberechnung zugrunde liegenden Arbeitszeiten. De facto musste ein Arbeitnehmer, um seine Ansprüche zu sichern, eigenständig Arbeitszeitaufzeichnungen führen, um seine Ansprüche nachvollziehbar zu machen, denn heute liegt die Beweislast beim Arbeitnehmer. Das Urteil des EuGH verlagert diese auf den Arbeitgeber. Wenn dieser also in Zukunft den Protokollierungen seiner Mitarbeiter nicht traut, muss er eine Alternative anbieten.

Ein System, das die Anforderungen des EuGH-Urteils erfüllen soll, muss also nicht nur die Erfassung von Arbeitszeiten ermöglichen, sondern das vom Gericht erkannte "strukturelle Ungleichgewicht" verringern. Aus meiner Sicht muss ein solches System für den Arbeitnehmer jedenfalls vollständig transparent sein:

  • Der Arbeitnehmer muss die Chronik seiner eigenen Arbeitszeitbuchungen abrufen können.
  • Falls Vorgesetzte Korrekturen an den Arbeitszeit-Buchungen machen, müssen diese Korrekturen für den Arbeitnehmer erkennbar sein.
  • Der Arbeitnehmer sollte sein Stundensaldo (Arbeitszeiten je Tag, Woche, Monat) und ggf. Arbeitszeitkonto selbstständig abrufen und die erfolgten Zu- und Abbuchungen nachvollziehen können.
  • Und nicht zuletzt muss das System die Anforderungen der DSGVO einhalten, beispielsweise sollte der Arbeitnehmer darüber informiert sein, welche Daten das System über ihn gespeichert hat.

Wer nach einem geeigneten System für sein Unternehmen sucht, mit dem er die Anforderungen des EuGH-Urteils umsetzen kann, der sollte deshalb nicht nur auf die Zeiterfassungsaspekte achten, sondern auch prüfen, ob die erforderliche Transparenz und der angemessene Datenschutz geboten werden.

26. Mai 2019 - Michael Stausberg

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