LAG Hamm: Der Betriebsrat darf eine Zeiterfassung verlangen

Bundesarbeitsgericht verhandelt: Haben Betriebsräte ein Initiativrecht bei der Einführung einer Zeiterfassung?

Update 13.09.22: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Zeiterfassung ist Pflicht.

Am 13. September verhandelt das Bundesarbeitsgericht darüber, ob Betriebsräten ein Initiativrecht bei der Einführung einer Zeiterfassung zusteht. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte das im vergangenen Jahr bejaht.

Wenn es um die Einführung einer digitalen Zeiterfassung geht, waren Betriebsräte in der Vergangenheit typischerweise auf der Seite der Gegner. Sie achteten darauf, dass der Arbeitgeber keine zu starke Kontrolle über die Leistung der Arbeitnehmer erlangen konnte. So wurde auch der §87 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Regel in dieser Richtung interpretiert:

Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: ... 6. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen;

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wurde so verstanden, dass der Betriebsrat bei der vom Unternehmen beabsichtigten Einführung z.B. eines Zeiterfassungssystems mitbestimmen darf. Die Frage aber, ob der Betriebsrat die Einführung einer Zeiterfassung auch selbst initiieren darf, wurde nicht gestellt. Im Gegenteil: das Bundesarbeitsgericht hat 1989 anlässlich der beabsichtigten Abschaffung eines Zeiterfassungssystems entschieden, dass der Betriebsrat nicht das Recht hat, diese Abschaffung zu verhindern.

Insofern ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.07.22 eine faustdicke Überraschung: Es gesteht dem Betriebsrat einer ostwestfälischen Klinik das Recht zu, vom Unternehmen die Einführung einer Zeiterfassung zu verlangen.

An diesem Streitfall kann man gut den veränderten Blick auf den Zweck der Erfassung von Arbeitszeiten und die faire Vergütung von Überstunden erkennen: In der Vergangenheit lag der Fokus auf der Sorge der Arbeitgeber, ihre Beschäftigten könnten die vereinbarten Arbeitszeiten nicht erfüllen, und die Betriebsräte bemühten sich darum, die Kontrollinstrumente zu begrenzen. Sie galten als „Verhinderer“ von Zeiterfassungssystemen. Heute sind es Betriebsräte, die den Kampf gegen Überstunden aufgenommen haben und ihrerseits nach geeigneten Instrumenten für eine faire Vergütung rufen.

Betriebsräte hoffen bislang vergeblich, dass das Urteil des EuGH aus dem Mai 2019 dazu führen würde, dass das deutsche Arbeitszeitgesetz geändert wird oder dass Arbeitsgerichte sich an der Auffassung des EuGH orientieren würden. Entsprechende Urteile, v.a. des ArbG Emden, wurden in der nächsten Instanz gekippt – weil die Argumentation des EuGH, die auf dem Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer gründet, keine Wirkung auf die Vergütung von Überstunden entfaltet. Entsprechende Bemühungen des Arbeitsministers, eine Pflicht zur Zeiterfassung über das Mindestlohngesetz einzuführen, wurden Anfang 2022 von der FDP gestoppt.

Nun liegt der Fall beim Bundesarbeitsgericht, die mündliche Verhandlung findet am 13. September 2022 statt.

12. August 2021, mehrere Updates

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